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Wer regiert das Geld? – Geldschöpfung und Staatsanleihen

Wer regiert das Geld? – Geldschöpfung und Staatsanleihen

Darstellung eines Superhelden mit der Aufschrift "Demokratie", der gegen ein Monster aus Geldscheinen und Münzen kämpft

📌 Kurz & Klar
  • Banken schaffen den Großteil des Geldes durch Giralgeldschöpfung – nicht die Zentralbank.
  • Staaten finanzieren sich über Staatsanleihen, die eng mit Banken und Finanzmärkten verflochten sind.
  • Dieses Zusammenspiel von Geldschöpfung und Staatsfinanzierung verschiebt Macht zu privaten Finanzakteuren und wirft die Frage nach demokratischer Kontrolle auf.

1. Einleitung

Viele Menschen glauben noch immer, Banken würden lediglich das Geld verleihen, das zuvor auf Konten eingezahlt wurde. Das heutige Geldsystem funktioniert jedoch anders. Die meisten „Geldbestände“ bestehen aus Buchgeld – auch Giralgeld genannt – das Banken selbst erzeugen. Gleichzeitig sind Banken wichtige Käufer von Staatsanleihen und damit zentrale Gläubiger von Staaten. Diese beiden Mechanismen verschieben Macht zu privaten Finanzinstituten und werfen die Frage nach der demokratischen Kontrolle über das Geldwesen auf.

2. Giralgeldschöpfung: Geld entsteht beim Kredit

Bargeld vs. Buchgeld – einfach erklärt

Die Deutsche Bundesbank erklärt, dass die Guthaben auf unseren Konten Buchgeld sind. Daneben existiert Bargeld, das von der Zentralbank ausgegeben wird. (Deutsche Bundesbank, 2024) Geld besteht heute größtenteils aus Bankguthaben, während Bargeld nur einen sehr kleinen Anteil ausmacht: Im Vergleich zur gesamten Geldmenge sind es deutlich unter zehn Prozent und berücksichtigt man auch längerfristige Spareinlagen, fällt der Bargeldanteil noch geringer aus (European Central Bank, 2023).

Wenn wir Bargeld abheben, wird Buchgeld lediglich in Münzen und Scheine umgewandelt; dadurch entsteht jedoch kein neues Geld. Wie also entsteht neues Geld in unserem heutigen Geldsystem?

Wie Banken neues Geld schaffen

Neues Buchgeld entsteht immer dann, wenn Banken Kredite vergeben: Sie überweisen dem Kreditnehmer nicht das Sparguthaben anderer Kunden, sondern schreiben ihm den Kreditbetrag direkt auf seinem Konto gut. Dieses Geld existierte zuvor nicht, es wird im Moment der Kreditvergabe geschaffen. Dabei spricht man von „Bilanzverlängerung“, weil die Bank gleichzeitig auf der Aktivseite ihrer Bilanz den Kredit als Forderung bucht und auf der Passivseite das neue Guthaben des Kunden als Verbindlichkeit, beide Seiten wachsen also gleichzeitig.

Ein einfaches Beispiel zur Giralgeldschöpfung

Wenn eine Bank einem Kunden 1.000 Euro als Kredit gibt, entstehen diese 1.000 Euro neu in seinem Konto. Sie waren vorher nicht da, so als würde die Bank neues Geld aus dem Nichts schaffen. Diesen Vorgang nennt man Giralgeldschöpfung. In der Bankbilanz wächst dadurch sowohl die Aktivseite (Forderung: der Kredit) als auch die Passivseite (Verbindlichkeit: das neue Guthaben) um jeweils 1.000 €, die Bilanzsumme steigt also um 1.000 €.

Ähnlich verhält es sich, wenn eine Bank Vermögenswerte wie Wertpapiere oder Grundstücke ankauft: Auch dann schreibt sie dem Verkäufer den Betrag einfach als Guthaben gut und bringt damit neues Geld in Umlauf. Für viele klingt das zunächst kaum vorstellbar, doch es ist Realität und wurde auch von der Bank of England in einem vielbeachteten Bericht bestätigt (Bank of England, 2014)

Grenzen der Giralgeldschöpfung

Sie wird durch verschiedene Faktoren begrenzt, vor allem durch die Kreditnachfrage und das Zinsniveau. Hinzu kommen regulatorische Vorgaben wie Eigenkapitalanforderungen oder die Geldpolitik der Zentralbank. In der Praxis schränken diese Schranken den Handlungsspielraum der Banken jedoch nur teilweise ein (Borio & Disyatat, 2011).

Die zentrale Frage ist: Wenn Banken durch ihre Kreditvergabe bestimmen, wo neues Geld entsteht, folgt die Geldschöpfung dann den Bedürfnissen der Gesellschaft oder den Zielen privater Rendite?

Warum ist das problematisch?

Steuerung der Kreditvergabe: Banken entscheiden, wer einen Kredit erhält und wofür neues Geld geschaffen wird – etwa für Immobilien, Konsum oder Finanzspekulation. Damit können sie ganze Wirtschaftsbereiche indirekt steuern. (Werner, 2014)

Politisch gewollte Abhängigkeit: Dass private Banken das meiste Geld schaffen dürfen, ist kein „Fehler im System“, sondern ausdrücklich politisch und rechtlich vorgesehen (Deutsche Bundesbank, 2017). Problematisch ist daran, dass damit enorme Entscheidungsmacht über die Kreditvergabe nicht bei demokratischen Institutionen liegt, sondern bei profitorientierten Banken.

Fragile Basis: Das meiste Geld existiert nur als Buchgeld in den Bankbilanzen. Wenn jedoch sehr viele Kunden gleichzeitig ihr Guthaben in Bargeld abheben wollen, kann eine Bank schnell in Schwierigkeiten geraten. Sie hält selbst nur geringe Bargeldreserven vor und ist daher auf das Vertrauen angewiesen, dass Kunden ihr Geld nicht alle auf einmal abziehen. Genau dieses Risiko stand im Zentrum vieler Finanzkrisen (Gorton, 2010).

Staatsanleihen: Kreditaufnahme der Staaten über Finanzmärkte

Wie Banken Staatsanleihen erwerben

Wenn Regierungen mehr ausgeben, als sie einnehmen, geben sie Staatsanleihen aus. Anders als bei der Kreditvergabe können Banken Staatsanleihen nicht einfach durch selbst geschaffenes Giralgeld kaufen. Sie brauchen dafür Zentralbankgeld, entweder aus ihren Beständen, als Kredit von der Zentralbank oder kurzfristig vom Geldmarkt, wo sich Banken untereinander oder über sogenannte Repo-Geschäfte (kurzfristige Kredite gegen Sicherheiten wie Staatsanleihen) Geld leihen. Anschließend verkaufen sie die Anleihen häufig an Fonds, Versicherungen oder andere Investoren weiter. Auf diese Weise hält der private Finanzsektor einen bedeutenden Teil der öffentlichen Schulden. (Bank for International Settlements, 2018)

Der „Doom Loop“ – Abhängigkeit von Banken und Staaten

Der EZB-Forschungsartikel „The doom loop and default incentives“ beschreibt das daraus resultierende Souverän-Banken-Nexus (Doom Loop): Verliert der Staat an Kreditwürdigkeit, sinkt der Wert seiner Anleihen. Da Banken große Mengen dieser Anleihen in ihren Bilanzen halten, verschlechtert sich ihre Lage, und der Staat muss sie notfalls retten. Solche Rettungen erhöhen wiederum die Staatsschulden, was die Sorge der Investoren vor einem Zahlungsausfall verstärkt – ein Teufelskreis. (EZB, 2024)

Druck der Finanzmärkte

Wenn Investoren Staatsanleihen attraktiv finden, sinken die Zinsen. Haben sie jedoch Zweifel an der Zahlungsfähigkeit eines Staates, steigen die Zinsen und damit die Kosten für die Staatsfinanzierung. So können Finanzmärkte Regierungen erheblich unter Druck setzen, wie die Eurokrise ab 2010 deutlich gezeigt hat (Streeck & Schäfer, 2013).

Ein weiteres Problem dabei ist, dass nach dem Erstverkauf an Banken die endgültigen Gläubiger oft schwer nachzuvollziehen sind. Denn Fonds, Versicherungen oder Banken veröffentlichen ihre Bestände meist nur in aggregierter Form. Für die Öffentlichkeit bleibt also weitgehend intransparent, wer am Ende tatsächlich über große Teile der Staatsschulden verfügt. Dadurch entsteht eine enge Abhängigkeit zwischen Staaten, Banken und Finanzmärkten (Claessens et al., 2013).

Rolle der EZB

Nach EU-Recht ist es der europäischen Zentralbank (EZB) streng verboten, Staatsanleihen direkt von Regierungen zu kaufen (Art. 123 AEUV). Sie darf sie nur auf dem Sekundärmarkt erwerben, also von Banken oder Investoren, die die Papiere zuvor gekauft haben. Seit 2015 nutzt die EZB diese Möglichkeit in großem Stil und veröffentlicht ihre Bestände sehr detailliert, nach Ländern aufgeschlüsselt. Damit ist öffentlich einsehbar, welcher Teil der Staatsanleihen nicht bei Banken oder Fonds liegt, sondern direkt von der Europäischen Zentralbank und den nationalen Zentralbanken gehalten wird. (European Central Bank, n.d.-a; n.d.-b)

Zusammenfassung

Die Macht der Banken beruht also im Kern auf zwei Mechanismen:

1. Giralgeldschöpfung: Private Banken erzeugen den Großteil des Geldes durch Kreditvergabe und Bilanzverlängerung. Dieses System ist politisch gewollt, wird aber nur unzureichend demokratisch kontrolliert. Bargeld macht weniger als ein Zehntel der Geldmenge aus und stützt lediglich die Akzeptanz des umfassenden Buchgeldes.

2. Staatsanleihen und die Banken-Staat-Verflechtung: Staaten finanzieren sich über den Verkauf von Anleihen, die vor allem von Banken und anderen Finanzunternehmen gekauft werden. Durch die „Doom-Loop“-Dynamik können sinkende Anleihekurse Banken gefährden und hohe Bankrettungskosten wiederum Staatsfinanzen belasten. Die EZB hält über zwei Billionen Euro an Staatsanleihen und veröffentlicht ihre Bestände transparent, doch die endgültigen Gläubiger im privaten Sektor bleiben schwer nachvollziehbar.

Reformdebatten

Öffentliche Geldschöpfung und Vollgeld

Der Autor Paul Schreyer fordert, die Geldschöpfung stärker in öffentliche Hände zu legen (Schreyer, 2014). Ein radikaler Vorschlag in diese Richtung war die Vollgeld-Initiative in der Schweiz 2018, die vorsah, dass ausschließlich die Nationalbank neues Geld schaffen darf (Swiss National Bank, 2019). Die Initiative scheiterte zwar an der Urne, machte aber deutlich, dass die Frage nach demokratischer Kontrolle des Geldsystems auch in westlichen Demokratien auf breite Resonanz stößt.

Reformen innerhalb des bestehenden Systems

Moderate Ansätze setzen darauf, das bestehende System zu stabilisieren, statt es grundlegend zu verändern. Dazu gehören strengere Eigenkapitalanforderungen, eine gezielte Kreditlenkung über Anreizsysteme sowie Obergrenzen für Bankenbestände an heimischen Staatsanleihen (ifo Institut, 2024). Solche Maßnahmen sollen den „Doom Loop“ abschwächen, bergen aber laut EZB-Forschung das Risiko unbeabsichtigter Nebenwirkungen, etwa einer erhöhten Versuchung zum Staatsbankrott bei stärkerer Abhängigkeit von ausländischen Investoren (European Central Bank, 2024).

Neue Instrumente und Strukturreformen

Darüber hinaus werden weitergehende Ideen diskutiert: etwa die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung (CBDC) als Ergänzung zum Giralgeld (European Central Bank, 2023), eine Reform der Staatsfinanzierung über gemeinsame europäische Anleihen (Eurobonds), die von der EZB teilweise direkt gezeichnet werden (FES, 2012), oder die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken nach dem Vorbild des früheren Glass-Steagall-Acts (ZEW, 2013). Auch der Ausbau öffentlicher Entwicklungsbanken wird als Möglichkeit gesehen, die Kreditvergabe stärker am Gemeinwohl auszurichten (European Investment Bank, 2024).

Langfristige Visionen

Langfristig reichen die Vorschläge bis hin zu einem modifizierten Vollgeldsystem mit Übergangsfristen oder gar partizipativen Modellen, in denen Bürger über regionale Geldräte Einfluss auf Kreditprioritäten nehmen (Degens, 2013).

Fazit

Eines ist klar: Das Zusammenspiel von Geldschöpfung und Staatsfinanzierung verleiht privaten Banken enormen Einfluss. Die Frage „Wer regiert das Geld?“ verweist damit nicht nur auf ökonomische Mechanismen, sondern auch auf politische Macht und demokratische Kontrolle. Eine breite öffentliche Debatte über die Legitimation und mögliche Reformen des Geldwesens ist notwendig, wenn es im Interesse der Gesellschaft gestaltet werden soll.

Vielleicht ist dies eine der entscheidenden Fragen der kommenden Jahre: Soll Geld weiter von wenigen Banken geschaffen werden oder wird es künftig ein Gut, das in demokratischer Verantwortung liegt?

Schreib deine Meinung in die Kommentare.

Quellen

  • Bank for International Settlements. (2018). Annual Economic Report 2018. Basel: Bank for International Settlements. https://www.bis.org/publ/arpdf/ar2018e.htm
  • Bank of England. (2014). Money creation in the modern economy. Quarterly Bulletin, 2014(Q1). London: Bank of England. PDF
  • Borio, C., & Disyatat, P. (2011). Global imbalances and the financial crisis: Link or no link? BIS Working Papers, No. 346. Bank for International Settlements. https://www.bis.org/publ/work346.pdf
  • Claessens, S., Kose, M. A., Laeven, L., & Valencia, F. (2013). Understanding Financial Crises: Causes, Consequences, and Policy Responses. CAMA Working Paper 05/2013. Canberra: Australian National University / IMF. https://ssrn.com/abstract=2295199
  • Degens, P. (2013). Alternative Geldkonzepte – ein Literaturbericht (MPIfG Discussion Paper 13/1). Köln: Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. PDF
  • Deutsche Bundesbank. (2017). Die Rolle von Banken, Nichtbanken und Zentralbank im Geldschöpfungsprozess (Monatsbericht April 2017). Frankfurt am Main: Deutsche Bundesbank. PDF
  • Deutsche Bundesbank. (2024). Geld und Geldpolitik (Stand: Frühjahr 2024). Frankfurt am Main: Deutsche Bundesbank. PDF
  • European Central Bank. (2023). Digital euro. Website
  • European Central Bank. (2024). The doom loop and default incentives. ECB Research Bulletin. Artikel
  • European Central Bank. (n.d.-a). Asset purchase programmes (APP): Eurosystem holdings and breakdowns. Frankfurt am Main: ECB. Abgerufen am 23. August 2025, von Website
  • European Central Bank. (n.d.-b). Pandemic emergency purchase programme (PEPP): Monthly breakdown of public sector securities. Frankfurt am Main: ECB. Abgerufen am 23. August 2025, von Website
  • European Investment Bank. (2024). Weltweiter Wirkungsbericht der EIB 2023/2024. PDF
  • Friedrich-Ebert-Stiftung. (2012). Eurobonds – Aufregerthema oder Lösungsansatz?. PDF
  • Gorton, G. (2010). Slapped by the Invisible Hand: The Panic of 2007. Oxford, UK: Oxford University Press.
  • ifo Institut (Hrsg.). (2024). Die Zukunft des europäischen Finanzsystems. Studie von Thorsten Beck, Anna Deege, Ralf Elsas & Dorothea Schäfer. München: ifo Institut. PDF
  • Schreyer, P. (2014). Wer regiert das Geld? Banken, Demokratie und Täuschung. Frankfurt am Main: Westend Verlag.
  • Streeck, W., & Schäfer, A. (2013). Politics in the age of austerity. Cambridge, UK: Polity Press.
  • Swiss National Bank. (2019). 111th Annual Report 2018. Bern & Zurich: Swiss National Bank. PDF
  • Werner, R. A. (2014). Can banks individually create money out of nothing? The theories and the empirical evidence. International Review of Financial Analysis, 36, 1–19. DOI
  • ZEW – Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. (2013). Trennbanken – Erfahrungen und Empfehlungen. PDF

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